Werner Sauer: Aufstand, Rock, Revolte (Auszug): Eine der bemerkenswertesten soziokulturellen Erscheinungen unserer Zeit ist das Bestehen einer Jugendkultur, die sich von früheren Jugendkulturen und Jugendbewegungen ganz grundlegend unterscheidet. Jugendkulturen der Vergangenheit waren Übergangskulturen für die Altersstufe zwischen Kindheit und Erwachsenendasein, sie dienten vornehmlich der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben und waren daher auch Institutionen weitgehend in die Erwachsenenwelt eingebunden, von dieser vielfach direkt gelenkt und kontrolliert (kirchliche und parteiliche Jugendorganisationen u. ä.). Mittlerweile hat sich eine Jugendkultur mit ihren Verhaltensformen, kulturellen Einstellungen und Institutionen etabliert, die insofern als autonom zu bezeichnen ist, als sie nicht mehr zumindest nicht mehr primär der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben dient und in Entsprechung dazu auch nicht mehr unter der direkten Leitung und Beaufsichtigung durch Erwachsene steht. Damit hat diese Jugendkultur auch aufgehört, Kultur einer spezifischen Altersstufe zu sein; Leute, die die 40 schon überschritten haben, weisen heute oft mit 20jährigen viel mehr Gemeinsamkeiten in der kulturellen Selbstpräsentation und in den Manifestationen ihres Lebensgefühls auf als mit altersmäßig viel Näherstehenden. Hand in Hand mit dieser Ausweitung geht die Verallgemeinerung der gesellschaftlich-politischen Ansprüche, die aus dieser Jugendkultur heraus gestellt wenden. War es der alten Jugendbewegung vor und nach dem Ersten Weltkrieg um eine Nische für die Jugend in der Gesellschaft gegangen, so fordert die zeitgenössische Jugendbewegung zumindest seit der Zeit, als die Studentenbewegung über spezifische studentische Belange hinaus zu allgemeinpolitischen Konzeptionen und Forderungen vorstieß, die Veränderung der gesamten Gesellschaft. Die Greise, die alten wie die jungen, die darin eine Anmaßung, einen Eingriff von Unbefugten in die Geschäfte der 'Erwachsenen' sehen und sich darüber entrüsten, haben sichtlich nicht begriffen, was sich da abgespielt hat Und begonnen hat es bei uns in den 50er Jahren. 1. Vorerinnerung: Kulturimperialismus stand bei uns (d. h. so um Mitteleuropa herum) am Anfang dessen, was den breiten, vielfältig differenzierten und oft verwirrenden Strom der heutigen Jugendbewegung und Jugendkultur ausmacht. Man sieht, unter Umständen kann auch Kulturimperialismus seine positiven und kreativen Folgen haben. Nach dem Aufschwung der USA zur kapitalistischen Führungsmacht kamen in den 50er Jahren die kulturellen Symbole und Ausdrucksformen über den Atlantik, mit denen die Jugendlichen der muffigen Erwachsenenwelt der nun im 'Wirtschaftswunder' Ziele behaglichen Spießertums anstrebenden Elterngeneration provokativ entgegentraten. Diese Elterngeneration war ja noch stark den unter den Nazis herrschenden Ideologemen und Verhaltensnormen ergeben. Jazz war im 'Dritten Reich' verboten gewesen nun begeisterte sich die Jugend dafür und dazu noch für andere, massenhafter konsumierte, noch aufreizendere Arten von 'Negermusik', wie den Rock'n'Roll. Stramme Körperhaltung ('Bauch hinein, Brust heraus!') erschien der Erwachsenenwelt als höchster Ausdruck körperlicher Ästhetik, 'Jawoll' als der Wörter wahrstes, bestes und schönstes die Jugend gab sich 'lässig' und sagte, selbstverständlich ganz lässig, 'okay'. Gegen den militärisch-kurzen Haarschnitt erhob sich der Schlurf, und die spießigen Bügelfalten-Hosen standen auf verlorenem Posten gegen die Blue Jeans, diesem egalitärsten aller Kleidungsstücke, das auch entscheidend beitrug zum endgültigen Sieg der Jung-Frauen im Hosenkrieg. Und Ähnliches mehr von dieser Art.(...) zurück |
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